Aus dem Schreiballtag

Meine erste Geschichte ist immer noch bei Testlesern und wird es wohl auch noch zwei oder drei Wochen bleiben - je nachdem, wie spannend sie ist. ;-) Also habe ich mich voller Tatendrang in eine nächste Geschichte gestürzt und dabei gemerkt, dass der Wechsel nicht ganz so einfach ist. Alles hat sich geändert: Die Erzähl-Perspektive, die Charaktere, die Welt. Was bei der ersten Geschichte teilweise noch unwichtig war, weil ich nur wenige Schauplätze hatte und nicht viele Handlungsstränge einflossen, brauchte ich weder einen vernünftigen Plot noch eine Karte.

 

Dabei liebe ich Karten! Schon von Berufes wegen. Sie erzählen so viel, man kann Tausende von Sachen aus ihnen herauslesen, kann sich eine Landschaft vorstellen und sich in die dunklen Nebelwälder denken. Nicht nur in der Fiktion, auch in der Realität. Mit einer Landkarte in meiner Hand weiss ich, wo ich bin und wie ich da hinkomme, wo ich hin will. Ich kann die Zeit abschätzen, die ich dafür brauche. Ich kann mir schöne Rastplätze aussuchen, wo ich die atemberaubende Aussicht über das Tal oder die Berge geniessen kann. Oder ich kann erkennen, wo ich mich am effizientesten verstecken oder notfalls verteidigen kann. Deshalb habe ich für meine Geschichte auch eine Karte gezeichnet, etwas, was mir erstaunlich schwer fiel.

 

Beim Schreiben ist der Plot meine Karte: Er führt mich und bringt mich (hoffentlich) ans Ziel. Dafür brauche ich aber erst einen Plot. Für meine erste Geschichte habe ich keinen gemacht. Warum? Na, ich wusste noch gar nicht, dass das andere so machen und ich habe einfach drauflos geschrieben. Es fühlte sich richtig an. Und ich finde, die Geschichte ist in sich stimmig und auch wenn ich "unterwegs" viel gelernt habe, lösten sich einige Probleme erst beim Schreiben. So wusste ich bis zu 3/4 der Geschichte nicht, was die eigentliche Motivation des Antagonisten ist, bis es mir wie Schuppen von den Augen fiel. Seither finde ich sogar ihn sympathisch. ;-)

 

Jetzt, bei meiner zweiten, etwas grösseren Geschichte habe ich einen Plot gemacht. Ich habe sie in mehrere Teile aufgeteilt und kurz beschrieben, was passieren soll. Ich habe sogar Charakterbögen gemacht, weil ich die Leute einfach noch nicht so vor Augen gesehen habe. Die existieren - und liegen beim Schreiben irgendwo in der Ecke. Nur, wenn eine Nebenfigur einem Protagonisten tief in die Augen sieht, muss ich manchmal die Farbe nachschlagen. ;-)

 

Das strukturierte Arbeiten hat mich dazu gebracht, mich in die Geschichte hineinzudenken und plötzlich fühlte ich mich durch meine erste Geschichte nicht mehr zurückgehalten. Es ist eine andere, neue Geschichte, andere Hauptcharaktere und eine andere Welt, in der ich alles so formen kann, wie ich möchte. Yeah! :D Das macht Spass und motiviert ungemein, zumindest am Anfang, bis es dann wieder schwierig wird: Wie ist die Gesellschaft? Patriarchalisch, matriarchalisch, beides in etwa gleich? Dürfen Frauen "Männerberufe" ausüben? Wie ist die Aufteilung Mann-Frau-Kind? Was beschäftigt die Leute? Wie denken sie? Wie wichtig ist ihnen Politik, Religion, Arbeit? Wie ist der Alltag organisiert? Was würden ein Dorf und seine Bewohner tun, wenn es einer Familie ganz schlecht geht? Helfen, wegsehen?

 

Am Anfang habe ich gedacht, die Fragen ergeben sich dann schon. Ja, die Fragen haben sich ergeben, aber die Antworten sind mir teilweise noch schleierhaft. Und das ist nicht gut. Wenn ich eine neue Welt erschaffen will, weshalb baue ich dann auf dem typischen Mann-Frau-Bild aus vergangenen Tagen auf? Andererseits, weisst du eigentlich, wie viel Arbeit das macht, eine ganze Welt so durchzudenken und dann die Geschichte danach zu schreiben? Es braucht verdammt viel Disziplin nicht in Rollenmuster zu geraten, die "man halt einfach so kennt".

 

So, dann setze ich mich mal wieder an den PC und versuche, meine Karten zu lesen.

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