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Weihnachtliche Vorfreude

Verdrossen sah ich zum Fenster hinaus. Noch immer schneite es, ein Ende war nicht in Sicht. Als ich ausatmete, beschlug sich die Scheibe - ein Zeichen dafür, wie kalt es in der Berghütte war.

Ich drehte mich um, schluckte. Wie zusammengequetschte Sardinen würden wir hier hausen und uns dabei die Finger abfrieren. Manuel begegnete meinem Blick, er wagte ein Lächeln. In seinen Händen erkannte ich Karten. Vorher hatte er angekündigt, dass er sie für ein Spiel mitgenommen habe.

Dabei wollte ich einfach, dass Maya kam. Wegen ihr war ich überhaupt hier. Sie hatte mich dazu überredet, in einer kleinen Hütte mit einigen Klassenkameraden den dritten Advent zu feiern. Zwanzig Leute oder mehr hatten das Wochenende zusammen verbringen wollen.

Jetzt war ich also hier und starrte die drei anderen, die ebenso früh hier gewesen waren wie ich, der Reihe nach an.

Am liebsten hätte ich mich mit Buch und Taschenlampe unter der Decke verkrochen. Oder, noch besser, wäre zu Hause geblieben. Dort hätte ich die Qual der Wahl aus Hunderten von Büchern gehabt, mich immer wieder umentscheiden können, bis ich in der Tiefe einer Geschichte verschwand und erst wieder auftauchte, wenn die letzte Seite umgeblättert war.

  

 

Manuel hob die Augenbrauen. Sein Lächeln wurde breiter und entblösste eine Reihe schneeweisser Zähne. "Komm schon, es wird bestimmt witzig."

Der Freundlichkeit halber versuchte ich mich an einem Lächeln. Smalltalk und Menschenansammlungen waren noch nie mein Ding gewesen. Nur Maya zuliebe war ich hier. Sie sagte immer, dass ich mich "unter die Leute mischen" und "jemand Neues kennenlernen" sollte. Und jetzt kam sie einfach nicht.

Ok, es war nicht ihre Schuld. Der heftige Schneefall hatte die Strasse nach unserer Ankunft unpassierbar gemacht. Trotzdem fühlte ich mich verraten - oder in erster Linie alleine.

Mit einem letzten Blick zurück durch die dunkle Scheibe setzte ich mich zu den anderen an den Tisch. Ein Topf mit frischem Tee dampfte in der Mitte, zwei Flaschen Wein standen daneben, eine davon leer, die andere noch zur Hälfte gefüllt.

Manuel mischte die Karten und gab jedem drei Stück. "Das Spiel ist im Prinzip ganz simpel."

Während er die Regeln erklärte, hörte ich nur mit halbem Ohr zu. Im Kopf war ich schon beim Buch, das auf meinem Nachttisch auf mich wartete. Wie gerne wäre ich nur ein bisschen so wie die Heldin, ein bisschen speziell, ein bisschen unkomplizierter, was das Kontakteknüpfen anging.

"Wer verliert, sagt dem Gewinner eine gute Eigenschaft, die ihm gefällt."

Na, dann wollte ich mir mal Mühe geben, immer auf dem zweiten oder dritten Platz zu landen.

Elena lachte. Dabei flogen die glänzenden, braunen Locken nur so durch die Luft. Sie biss sich kurz auf die Unterlippen und starrte Manuel und Jake an. Mich sah sie wohl kaum.

"Dann macht euch auf was gefasst." Sie wandte sich mir zu. Ihre Augen funkelten unternehmungslustig. "Denen werden wir es zeigen." Sie knuffte mich in die Seite, dann schenkte sie mir Wein nach.

Ich hätte lieber Tee getrunken.

  

 

Wir spielten, ich zählte, was das Zeug hielt, damit ich immer im Mittelfeld lag, wechselte manchmal absichtlich gute gegen schlechtere Karten. Hätte ich gewonnen, wäre es mir peinlich gewesen. Hätte ich verloren, noch viel mehr.

"Hey, weshalb gibst du ein Ass raus?", rief Elena schliesslich, schon deutlich angeheitert. Sie lachte, doch es verstummte und ihre Augen wurden gross. "Spielst du absichtlich so ...?" Dann erklang ihr helles Kichern wieder. "Leute, Melanie mag keine Komplimente, sie spielt absichtlich schlecht."

Manuels Augen weiteten sich ebenfalls, nur Jake lehnte sich entspannt zurück. Ein feines Lächeln umspielte seine Lippen. "Ich weiss."

Mir klappte der Mund auf. Ich mochte Jake nicht wirklich. Vielleicht mochte ich ihn sogar ein Stück, aber er war so unheimlich, so undurchschaubar. Immer wieder hatte er mich schon in der Schule mit gehässigen Blicken drangsaliert, die anderen gegen mich aufgehetzt. Wenn er auch nur ahnen würde, dass ich genau wusste, wie oft sein Finger auf mich gezeigt hatte ...

"Ich finde, wir sollten sie dafür strafen." Jake beugte sich nach vorne.

Plötzlich kam er mir nicht mehr entspannt, sondern ein wenig dämonisch vor. Ich schluckte. Was, wenn er mir gleich ein Seil um die Hände band und Lösegeld von meinen Eltern forderte?

Vielleicht sollte ich aufhören, Horrorgeschichten zu lesen.

"Mir gefallen deine Augen. Sie wirken freundlich und warm."

Stille. Ein Wimpernschlag, zwei. Noch einer.

Verunsichert wandte ich mich ab, doch Manuel schmunzelte bloss. Keine grosse Hilfe.

Elena hatte sich das Lachen unterdrückt, doch als mein Blick sie streifte, kicherte sie los. "Und ich mag deine ehrliche Art. Du verstellst dich nie." Sie trank einen weiteren Schluck aus ihrem Becher.

Manuel stützte seinen Kopf mit den Händen ab. Während er mich betrachtete, wurde mir heiss und kalt zugleich. Als ihm eine seiner dunkelblonden Strähnen ins Gesicht fiel, blies er sie weg. "Und mir gefallen deine Rundungen."

Mein Speck?

Doch bevor ich darauf reagieren konnte, kreischte Elena los. Mit einer Tirade aus Schimpfwörtern und witzigen Vorschlägen - darunter einer, bei dem sie nur noch Schokolade essen wollte, damit sie mehr Hüftgold präsentieren konnte - trommelte sie auf Manuel ein.

Verwirrt wandte ich den Blick ab.

"Und jetzt du." Jake schmunzelte noch immer genau gleich süffisant wie vorher.

"Was?"

"Na, jetzt sagst du uns was Schönes."

 

 

"Oh ja!" Ich fragte mich, wie Elena das in ihrer heftigen Diskussion mit Manuel überhaupt hatte hören können. Ihr Lachen verstummte, Manuel hielt in seiner Bemerkung inne und Jake sah mich noch immer mit diesen undurchdringlichen Augen an.

Verdammt.

"Ich ..." Ich holte tief Luft und schloss die Augen. "Ich bewundere Elena für ihre Unbeschwertheit."

Von der Seite her knuffte mir sie abermals in die Seite, dann spürte ich eine warme Umarmung und einen dicken Schmatzer auf der Wange.

"Danke!", hauchte sie an mein Ohr und spuckte dabei unzählige kleine Speicheltröpfchen gegen meine Wange.

Etwas überrascht öffnete ich die Augen und sah sie an. Wie eine Katze schmiegte sie sich an meine Schulter. Wenn ich mich nicht täuschte, schnurrte sie sogar.

Manuel lehnte sich betont gelassen nach hinten. "Und ich?"

"Dass du mit anderen Menschen so gut umgehen kannst." Und sogar mich zum Kartenspielen überreden kannst, fügte ich in Gedanken hinzu. 

Er winkte mit der Hand ab. "Stimmt doch gar nicht."

"Doch!", unterstützte mich nun auch Elena.

Mein Blick fiel auf Jake. Ich wusste so ganz und gar nicht, was ich bei ihm sagen sollte. Wie konnte man auch auf die bescheuerte Idee kommen, jemandem ein Kompliment zu machen, den man überhaupt nicht mochte und der nur hinter vorgehaltener Hand über einen herzog?

Entschlossen stand ich auf. Ein bisschen frisches Wasser würde mir und meinem Kopf bestimmt guttun. Denn abgesehen davon, dass die Situation mich völlig überforderte, fühlte sich mein Kopf wie in Watte gepackt an, ein bisschen träge und schwammig.

Jemand trat neben mich. Da Elena noch immer - oder schon wieder - mit Manuel schäkerte, musste es Jake sein. Er lehnte sich an die Anrichte und verhinderte damit, dass ich meinen Becher mit Wasser füllen konnte. Genervt warf ich ihm einen Blick zu.

Sein Lächeln überraschte mich. Nein, es überforderte mich. Sogar mehr als die Tatsache, in einer engen Hütte mit Menschen festzustecken, die ich kaum kannte. "Kannst du backen?"

Ich verengte meine Augenbrauen, schüttelte den Kopf. Er wollte doch jetzt nicht ...?

Er lachte.

 

 

Aus dem Vorratskasten zauberte Jake Mehl und Trockenhefe hervor, brachte Butter und Milch zum Vorschein und stellte es vor mir auf die Anrichte. "Reichst du mir mal bitte den Massbecher?" Er schüttete Milch hinein, nickte zufrieden, dann mischte er sie mit den restlichen Zutaten zu einem geschmeidigen Teig. Die ganze Zeit über sah ich ihm dabei zu.

Nachdem er sich die Hände gewaschen hätte, wandte er sich mir wieder zu. "Jetzt müssen wir ein Stunde oder zwei warten, dann können wir den Zopf backen."

Beim Gedanken daran lief mir das Wasser im Mund zusammen. Verlegen schielte ich zu Jake hinüber. Gertenschlank. Ob er ein Essen überhaupt genoss? Ich könnte nie ohne, aber das sah man mir auch viel zu deutlich an. Einmal hatte ich versucht, abzunehmen, aber ich habe es nicht lange durchgehalten. Dann habe ich aufgegeben.

"Vielleicht, wenn er gelingt, weisst du dann etwas Schönes über mich zu sagen", riss Jake mich aus meinen Gedanken.

Erschrocken holte ich Luft, dabei pfiff es aus meinem Mund. Verdammt, wieso ausgerechnet jetzt? Ich wusste, dass mir das immer wieder passierte, doch Jake hätte es nicht hören sollen.

Moment, was interessierte mich seine Meinung?

Vielleicht lag es am Wein, vielleicht aber auch an der für mich total ungewohnten Situation, aber ein Lächeln schlich sich klammheimlich auf meine Lippen. "Ja, vielleicht."

Jake lachte. "Wir kennen uns ja kaum. Also kann uns niemand verübeln, dass wir keine tollen Eigenschaften voneinander nennen konnten."

"Dir gefallen meine Augen", erinnerte ich ihn. In mir drin regte sich die Hoffnung, dass er sein Kompliment vielleicht wiederholen würde.

"Stimmt. Aber das ist ... Manchmal sagt man das einfach so, ohne grosse Bedeutung." Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass er mich offen ansah.

Vielleicht gerade deshalb schmerzte seine ehrliche Erklärung noch ein bisschen mehr als sie sollte.

 

 

"Also gefallen sie dir nicht?" Ich versuchte, so ruhig wie möglich zu klingen, doch es misslang mir. Blieb nur die Hoffnung, dass Jake das Zittern nicht bemerkte.

Jakes Augen strahlten. "Ich habe manchmal gesagt. Nicht immer."

Na toll, jetzt wusste ich genauso viel wie vorher. Ich rollte mit den Augen. Er lachte. 

Als es verstummte, wandte er den Blick zum Tisch, an dem Manuel und Elena in ein angeregtes Gespräch vertieft waren. Ihre Wangen leuchteten.

"Ist nicht die Adventszeit dafür da, sich Zeit füreinander zu nehmen?" Ausnahmsweise hörte Jake sich unsicher an. Er fuhr sich durch die beinahe schwarzen Haare, die sowieso schon unordentlich von seinem Kopf abstanden. "Du wirkst immer so unnahbar, als ob du niemanden an dich heranlassen willst. Ich dachte mir immer, dass ich dich gerne einmal näher kennenlernen würde. Aber ..." Er seufzte. "Mein Mut hat mich wohl einfach verlassen."

Ganz verdutzt schwieg ich einen Moment, bis ich - elegant, wie ich war - das Thema wechselte. "Ist der Teig schon aufgegangen?"

Er lachte, ging zum Tisch und brachte neben der vierten, halbvollen Flasche Wein seinen Becher. "Das geht nicht so schnell." Während er uns einschenkte, schwieg er.

"Wenn du mit anderen Leuten zusammen bist, wie heute Abend, fühlst du dich da nicht manchmal auch fehl am Platz? Oder hast Angst, etwas Falsches zu sagen?"

"Doch, schon. Aber solange ich mich nicht verstelle, werde ich irgendwann die Leute treffen, die mir guttun. Bei den anderen sollte es mir egal sein, was sie von mir denken." Er lächelte. "Nur Mut. Auch du wirst irgendwann die Menschen treffen, die dir guttun. Denke nicht immer darüber nach, was die anderen von dir denken, wie gut oder schlecht du in ihren Augen aussiehst. Ja, du isst nunmal gerne, aber das ist doch auch etwas Schönes. Dafür kotzt du keinem Gastgeber den Perserteppich voll, weil du nicht weisst, wann du genug Bier gehabt hast." Beim Gedanken an Bier schüttelte ich mich. Ekelhaftes Gebräu. "Verstell dich nicht, sei du selbst. Strahle in deiner eigenen Farbe. Ich bin mir sicher, dann triffst du jene, die mit dir durchs Leben gehen, ob nur für ein Jahr oder bis ans Ende. Sie werden dich finden, sie werden mit dir zusammensein wollen, und sie werden sich glücklich schätzen, dich zu kennen."

 

Gewinnspiel

Hat es jemand bis hierher durchgehalten? ;-)

Ich gebe zu, es ist wieder einmal ausgeartet. (Hier fehlt der Affe, der sich die Hände vors Gesicht schlägt.) Aber ich hatte Freude beim Schreiben, fühlte mit der Ich-Person mit. Und ich finde, den Gedanken der Adventszeit und ein mir persönliches Anliegen kommen da ganz gut zur Geltung.

 

Und jetzt, ihr Lieben, gibt es ein Gewinnspiel! :-D Zur Feier des Tages verlose ich eine Nebenrolle im zweiten Teil meiner aktuellen Fantasy-Reihe. Der Gewinner darf Folgendes bestimmen:

- einen Namen (darf auch der eigene sein, bloss "schreibbar" sollte er sein - kein Ill^hipitin-n'ini)

- eine wichtige Charaktereigenschaft

- ob dieser Held ehrenvoll im Kampf stirbt oder sich unsterblich verliebt.

 

Hier kommt ihr übrigens zum Autoren-Adventskalender, von dem diese Aktion ausgeht.

 

Teilnahme via Blog / Webseite:

Diesen Beitrag kommentieren und folgende Frage beantworten: Welches der drei Komplimente, das die Ich-Person erhalten hat, gefällt euch am besten?

Wer noch sein persönliches Advents-Highlight dazu schreiben möchte, hüpft doppelt in den Lostopf! <3

 

ODER

 

Teilnahme via Facebook

Gebt dem Original-Beitrag dort ein Like und seid Follower meiner Seite

Mit einem Kommentar über eure schönsten, kreativsten, aufmunterndsten Adventserfahrungen hüpft ihr ein zweites Mal in den Lostopf! <3

 

Ein Drei- oder Vierfachlos gibt es nicht, entweder nehmt ihr via Webseite oder via Facebook teil. ;-) Was aber nicht heisst, dass ihr nur an einem Ort etwas schreiben dürft! ;-)

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