· 

Schreibtipps: Ohne Plot zum ersten Wort

Da ist sie, diese geniale Idee! Wie ein Blitz hat sie mich getroffen, lässt mich bis in die Grundfeste erzittern und ist alles, was ich noch denken kann.

 

Diese eine Idee ist meine Welt.

 

Und dann - endlich! - Feierabend, Zeit zum Schreiben. Die Finger fliegen über die Tastatur, der Stift kratzt nur so auf dem Papier und ich ärgere mich, dass ich keinen zweiten Kugelschreiber dabei habe - in meinen Träumen.

 

Eine Geschichte will geplant sein

In meinen Schreibanfängen (ach herrje, wie abgedroschen sich das anhört) habe ich mich einfach an den PC gesetzt und geschrieben. Ich hatte einen Anfang aus meiner Jugendzeit, in der ich die Geschichte schon angefangen habe, kannte auch einige Eckpunkte und zwei der Charaktere gut, die anderen mussten sich erst noch entwickeln.

 

Sich?

 

Nein, ich musste sie entwickeln. In meinen Jugendjahren ging das Hand in Hand mit dem Schreiben selbst, da hat sich aus etlichen Ideen immer wieder eine Wendung ergeben, aber: An ein Ziel kam ich nicht. Ich hatte ja auch keins. Damals war mir das noch egal, weil ich einfach durch meine Charaktere Situationen erleben wollte und auch konnte, die ich im echten Leben nicht kannte. Pferde hatten wir keine, also hatten all meine Hauptpersonen Pferde. Und konnten reiten wie die Weltmeister. Und nebenbei haben sie auch noch magische Fähigkeiten, jeder Typ verliebt sich in sie und da gibt es noch diese schrullige Oma, die mal hier, mal dort ist, immer mit einer (seltener) mehr oder (sehr oft) weniger guten Erklärung.

 

Nachdem mich meine Leidenschaft zum Schreiben neu gepackt hat, wusste ich, dass ich eine Geschichte zu Ende schreiben wollte. Es sollte eine stimmige, runde Sache sein. Geplottet habe ich nicht, das Wort kannte ich noch nicht einmal und eigentlich mag ich es auch nicht. ;-) Aber: Ich habe in jeder freien Minute daran gedacht, was als nächstes passieren könnte. Nach und nach hat sich das Ende herauskristallisiert.

 

Ich kannte das Ende nicht von Anfang an. Aber Eckpunkte waren mir bekannt. Unbewusst habe ich mich tagtäglich gefragt, was sie in ihrer Situation tun konnte und was sie am ehesten tun würde. Wie konnte er darauf reagieren und wie würde er darauf reagieren?

 

Eine Geschichte lebt durch die Charaktere. Wenn Anna vor jedem Typen zurückschreckt, der sie auch nur ansieht, wird sie dem düsteren Gesellen an der dunklen Hausecke bei mondloser Nacht ihr Herz nicht ausschütten, obwohl sie es könnte. Sie wird davonrennen oder sich mit klopfendem Herzen möglichst unauffällig auf der anderen Strassenseite am Typen vorbeischleichen. (Das nur als Exkurs. ;-) )

 

Wenn ich nicht plane

Mit Planung meine ich an dieser Stelle nicht die plotlosen Schreiber - zu denen zähle ich mich auch gerne. Aber es gibt einen Unterschied zwischen plot- und planlos, finde ich. ;-)

 

Zum planlosen Schreiben kann ich ein Beispiel aus meiner Jugendzeit liefern: Ein Liebesroman mit einer 17-Jährigen, auf einem Pferdehof aufgewachsen, der neue, attraktive Reitlehrer zieht ein. Sie mögen sich nicht, dann doch, kurz vor dem ersten Kuss kommt seine "Freundin", die ihn aber nur erpresst. Er haut ab, die 17-Jährige heult, irgendwann trifft sie auf einen Typen, der ihr erzählt, dass ein neuer Reitlehrer bei ihnen arbeitet. Bei ihr klingeln alle Alarmglocken, das muss der Typ sein, und so treffen sie sich wieder, kommen fast zusammen. Doch dann will er bei ihrer besten Freundin Rat suchen, sie landen im Bett und *Baduum*, ein Kind ist unterwegs. Enttäuschung, Tränen, Hochzeit (natürlich, was sonst. Man heiratet ja "nur" wegen einem Kind.) Wanderritt, ein neuer Typ kommt, fasziniert sie von Anfang an, sie zieht zu ihm ...

 

Also, eine ganze Menge Seiten Text, ohne dass wirklich etwas darin stehen würde.

 

Ich schäme mich, diesen Text irgendjemandem zu zeigen.

 

Manchmal lese ich ihn auszugsweise, um das Kribbeln zu spüren. <3 Aber psst. ;-)

 

Also, wenn ich nicht plane, endet das in einem Wortsalat. Wenn ich plane, und sei es nur im Kopf, dann entsteht eine Geschichte.

 

Was Planung eigentlich ist

Planung heisst, Entscheidungen zu treffen. Das geht von der Haarfarbe des unwichtigsten Nebencharakters zur Musterung der Boxershorts, die der Held der Geschichte unter seinem Kilt trägt, von ihrem Grund, so lange zu zögern, bis zu seinem, sich ihr nicht zu öffnen.

 

Gerade weil Entscheidungen getroffen werden müssen, kann es so schwer sein zu planen.

 

Wenn ich mich dafür entscheide, dass Annas Bruder in ihrer Kindheit beim Schwimmen ertrunken ist, kann sie

- sich zur Rettungsschwimmerin ausbilden, um selbst gewappnet zu sein und solche Tragödien verhindern zu wissen, oder

- sich vor Wasser fernhalten und in keine Wohnung ziehen, in der eine Badewanne steht.

 

Klar, das gehört zur Charakterentwicklung, aber auch die gehört zum Plot. Immerhin treiben die Charaktere die Geschichten voran. Und die Charaktere entscheiden aufgrund ihrer Erfahrung, ihrer Persönlichkeit, ihrer Interessen und der Ausbildung, die sie erhalten haben.

 

Ein handlungsbezogenes Beispiel:

In einem epischen Kampf flieht Anna in letzter Sekunde vor dem übermächtigen, bösen Zauberer. Sie verschliesst die Brücke zu seiner Stadt, weil sie das mit ihren beschränkten Fähigkeiten gerade noch so hinbringt.

Konsequenz daraus:

- Niemand kann die Brücke später noch benutzen, auch Anna nicht.

- Der Zauberer kann den Bann brechen, aber dann musst du zusehen, wie Anna entwischen kann.

 

 Planung bedeutet in dem Fall, dass deine Geschichte in sich konsistent ist. Eine Handlung soll sich aus der anderen ergeben. Es kann nicht sein, dass Anna Ben hasst und ihm am nächsten Tag schmachtend um den Hals fällt - es sei denn, sie hat ein Liebeselixier getrunken.

 

Beispiel einer Planung

Hier also ein fiktives Beispiel einer Planung ohne Plot. ;-) Die Geschichte soll sich um ein sprachaffines Mädchen handeln (Sara), 17 Jahre alt (ach, ich liebe dieses Alter!), das ein Austauschjahr in Island macht. Sie verliebt sich in den Sohn des Hauses.

 

Als erstes werden die Grundparameter festgelegt: Charaktere, Orte, Geschwister, Familie, Beruf, ... Dann die Orte: Haus, Landschaft, Lieblingscafé. Und am Ende beginnt der Schreibprozess. Ich gebe zu, die meisten Sachen habe ich im Kopf. ;-) Gerade bei meinen Geschichten, die sich nicht über drei Bände ziehen, neige ich dazu, alles im Kopf zu entwickeln.

 

Das erste Kapitel steht. Sara verabschiedet sich von ihren Freunden und der Familie und beginnt die lange Reise. Mit der Gastfamilie ist ausgemacht, dass sie am Flughafen abgeholt wird, doch niemand wartet dort auf Sara.

...

...

...

Am Ende kommen Sara und ihr Lover zusammen und sie entscheidet sich, in Island zu bleiben.

 

Die "..." stehen für die vielen Entscheidungen, die dazuwischen stehen. Du kennst den Start und das Ziel, aber den Weg dahin kennst du noch nicht. So habe ich den Schattenwanderer geschrieben.

 

Oder du nimmst wieder deinen Anfang und überlegst dir, was Sara nun machen kann. Nimmt sie ein Taxi und regt sie sich über die horrenden Preise auf? Oder wartet sie geduldig? Fragt sie gar beim Flughafenpersonal nach, oder ruft sie selbst die Nummer an, die sie sich glücklicherweise auf einem Zettel notiert hat?

Hier kennst du verschiedene Wege, nimmst den, der dir am "Sinnvollsten" erscheint und gehst ihn, bis du wieder vor einer neuen Entscheidung stehst. Du entdeckst den Weg nach und nach, kannst aber über das Ende rein gar nichts sagen. "Im Bann des Gedankenlesers" ist definitiv so entstanden! :-D

 

Was für dich funktioniert

Es gibt Autoren, die planen jedes Kapitel detailgetreu, wissen sogar, welche Farbe die Unterhose der Protagonistin hat, wenn sie die ausgebüxten Pferde in den Pferch zurücktreibt. Es gibt Autoren, die setzen sich hin und wissen noch kein Wort von dem, was sie in wenigen Augenblicken schreiben werden. Und dann gibt es ganz, ganz viele Autoren, die arbeiten irgendwo dazwischen. Ein wenig Planung, mal hier eine Szene, die unbedingt in der Geschichte Platz finden muss, dann dort ein Übergang, bei dem noch nicht sicher ist, ob sie über die Brücke gehen und von einem Werwolf angegriffen werden, oder ob sie doch lieber im Wagen durch den Wald fahren und von einem umgefallenen Baum über der Strasse gebremst werden. Hauptsache, sie kommen nicht gleich an.

 

Finde für dich, was dir am besten passt. Probiere ein paar Sachen aus, versuche, einen Weg zu finden, der dir und deiner Art entgegenkommt.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0