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Autoren-Osterspecial: Osterhasensuche

Leises Mahlen dringt an meine Ohren. Tief sauge ich den Duft nach Stroh, Kaninchen und Körnern ein. Ich liebe den Kaninchenstall meiner Tante, in dem ich viel zu lange nicht mehr gewesen bin. Vor zwei Tagen hat sie einen Beinbruch erlitten und muss im Krankenhaus bleiben. Wenn ich an ihre Flüche zurückdenke, huscht mir ein Schmunzeln übers Gesicht, doch ich kann sie verstehen. Immerhin ist Ostern und sie hat einem befreundeten Hobbyzüchter versprochen, ihm zwei Jungtiere zu überlassen.

Ich trat an eine der Boxen. Die vier Racker darin hüpften aufgeregt um ihre Mutter herum, wirbelten die feine Wolle auf, die sie während der ersten Tage und Wochen nach der Geburt gewärmt hatte, und vertrieben damit die Dame. Schmunzelnd nahm ich eines der gescheckten Wunder heraus und kraulte es hinter den Ohren. Die scharfen Krallen drückten gegen meine Handfläche, doch das machte mir nichts aus. Immerhin hielt ich ein warmes, wunderschönes, wohlriechendes Knäuel Leben in der Hand.

"Du bist der Johnny", bestimmte ich. "Und du Tom. Ihr beide kommt danach mit mir nach Hause." Meine Tante hatte mir versprochen, dass ich zwei mitnehmen durfte, wenn ich mich um ihre Lieblinge kümmerte und vor Ort war, wenn der befreundete Züchter kam.

Ein Auto fuhr vor. Rasch legte ich das Kaninchen zurück und verliess den Stall. Im selben Augenblick trat ein junger Mann aus dem Auto, vielleicht ein paar Jahre älter als ich, mit braungebrannter Haut und Wuschelhaaren, die wirkten, als hätte er Stunden vor dem Spiegel zugebracht, um sie wie frisch aufgestanden aussehen zu lassen.

 

"Hi. Ich bin Lara." Ich ging auf ihn zu und reichte ihm die Hand. "Meine Tante hatte einen Unfall und ich vertrete sie heute."

Er erwiderte meinen Händedruck fest und warm. Seine Hand umschloss meine fast komplett. Wie wunderschön sie war. Die Finger waren gerade und lang, aber nicht dünn, die Hand selbst breit und kräftig. Die Gelenke traten gerade genug hervor. Ich hatte eine Schwäche für schöne Hände. "Schön, dich zu treffen. Ich bin Daniel", stellte er sich mit tiefer Stimme vor. "Ich hoffe, Madeleine geht es nicht zu schlecht?"

Ich schüttelte den Kopf. "Am meisten regt sie sich darüber auf, dass sie dich nicht persönlich treffen kann." Was ich absolut verstehen konnte. "Wenn ich es recht verstanden habe, dann gibt es noch einige Abklärungen, ehe entschieden wird, ob sie operiert wird oder nicht."

Er nickte und zog dabei den Kragen seiner Weste hoch. Der Frühlingswind erinnerte daran, dass der Winter noch nicht allzu weit entfernt war und in den Bergen noch Schnee lag. "Dann lass uns die Gute um zwei Hoppelchen erleichtern." Er warf mir einen warmen Blick zu und ging voran in den Stall.

Das Tor zum Käfig stand weit offen. Ich beschleunigte meine Schritte und zählte die Jungtiere. Alle da. Ich atmete erleichtert aus. "Welche sollen es denn sein."

Zielsicher holte er Johnny und Tom heraus. "Diese beiden. Sie meinte, die Schecken seien Weibchen. Männchen habe ich heuer selbst genug." Er verdrehte die Augen, als verstünde ich ganz genau, wovon er sprach.

"Das sind aber Johnny und Tom", bemerkte ich verdattert.

"Das sind meine zwei neuen, hübschen Weibchen." Die beiden Jungtiere hatten in einer seiner Hände Platz. "Madeleine meinte, die einfarbigen seien Männchen." Er wirkte nicht verunsichert, eher amüsiert.

Auch wenn ich sie erst seit ein paar Minuten benannt hatte, war mir schon seit einer Ewigkeit klar, dass ich die beiden mit nach Hause nehmen würde. Jetzt von ihnen Abschied zu nehmen, fiel mir erstaunlich schwer.

Er lächelte nachsichtig. "Du kannst sie auch besuchen kommen, wenn du magst." Vielleicht würde ich das tatsächlich einmal machen, aber nicht nur wegen der Kaninchen.

Ich strich Johnny über das weiche Fell. "Ich bin kein kleines Kind mehr, das sein Herz an das erstbeste Kaninchen verliert", erwiderte ich.

Erheitert lachte Daniel auf. "Deshalb kannst du dir auch ein anderes aussuchen."

"Zwei."

Wieder lachte er, und ich schloss das Tor. Die beiden Jungtiere schnupperten am Gitter. Vielleicht hofften sie darauf, dass wir ihnen ein wenig frisches Grün vorbei brachten.

 

Beim Auto platzierte er Johnny und Tom in einer mit Stroh ausgelegten Kartonkiste. Als er sich umdrehte, um sich von mir zu verabschieden, hoppelte die Mutter der beiden unter dem Auto hervor auf die grüne Wiese zu. Entsetzt starrten wir sie an.

Daniel legte die Unterarme auf die Autotür. "Weisst du nicht, wie sehr es Minna an die frische Luft zieht?" Als wäre es meine Schuld, dass sie ausgebüxt war.

Na gut, es war auch meine Schuld. Immerhin hatte ich das Tor vergessen zu schliessen. "Wer sie einfängt, bekommt Johnny und Tom, der andere sucht sich zwei neue aus?", schlug ich mit einem Zwinkern vor.

Seine Augen strahlten und die wohlgeformten Hände strichen durch die Aufwach-Frisur. "Na gut. Aber ich brauche schöne Weibchen, sonst ..."

Den Rest hörte ich nicht mehr, denn ich jagte davon. Minna war ausgesprochen flink, immer, wenn ich dachte, ich hätte sie in der Falle, entwischte sie meinen oder Daniels Händen. Als sie sich zwischen meinen Beinen einen Weg in die Freiheit kämpfte, lachte ich laut auf. Mit der Hand wischte ich mir über die schweissnasse Stirn und strahlte Daniel an. Auch sein Atem ging schneller.

"Flink, was?"

Ich nickte.

Als wäre sie eben erst aus ihrem Gehege geflüchtet, hoppelte Minna munter weiter. Sie hielt auf eine Ecke zu, zu beiden Seiten mit Maschendraht gegen den Nachbarn gesichert, damit keines der unflätigen Viecher ihm die Tulpen anknabberte. Ich lachte, als sie genau von den Blumen kostete, die vom Nachbargrundstück in den Garten meiner Tante ragten.

Daniel und ich platzierten uns. Wenn sie uns jetzt entwischte ... Gleichzeitig holten wir Anlauf, er von der einen, ich von der anderen Seite. Ich sprang nach vorn, landete mit den Knien auf dem nassen Boden und schlitterte ein wenig. Tante Madeleine würde Freude an ihrem Garten haben. Aber wenigstens hatten wir das Kaninchen endlich gefangen.

 

Mit vollem Bauch genoss ich die Sonne auf meiner Haut. Ostern. Im Garten meiner neuen Erdgeschosswohnung, für den ich mir die beiden Kaninchen gewünscht hatte, hoppelten Johnny und Tom durch das saftige Gras.

Daniel trank seinen Orangensaft leer. Als Schadenersatz hatte ich ihn zum Osterbrunch eingeladen, nur er und ich und die beiden Langohren. Für sie hatten wir Karotten und Sonnenblumenkerne vorbereitet. Im Laufe des Tages würden wir ihnen einen wunderschönen Stall zimmern und am Abend gingen wir ins Kino. Diesmal nur Daniel und ich.

Beim Gedanken daran kribbelte es in meinem Bauch und mein Blick streifte seine wunderschöne Hand, die locker um das Glas lag. Vielleicht lag sie heute Abend dann ja um meine Hand.

Es wäre ein schönes Ostern.

 

Osterspecial des Autoren-Adventskalenders

Fast zeitgleich mit meiner ersten Veröffentlichung hat auch der Autoren-Adventskalender gestartet und ich bin von Anfang an dabei. Die Idee dahinter, mit Kurzgeschichten die Wartezeit bis zu Weihnachten zu verkürzen, fand ich einfach super! Im Frühling danach kam das erste Osterspecial mit Kurzgeschichten zu Ostern. Alle Kurzgeschichten sind nach wie vor im Kalender verlinkt. Meine eigenen findet ihr auch auf meinem Blog:

Ich wünsche euch ganz viel Spass mit den tollen Geschichten! <3

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