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Writing Excuses Masterclass 10.5

Letzte Woche habe ich mich durch fünf Jobinterviews gekämpft - ein hartes Stück Arbeit. Heute darf ich drei der Leute über einen Marktplatz schicken. ;-)

 

Langweilige Charaktere

Die aktuelle Wochenaufgabe ist rasch erklärt: Nimm drei verschiedene Charaktere und zeige ihre Emotionen, ihre Arbeit, ihre Hobbys, ohne sie zu nennen. Lass sie über einen Marktplatz gehen und etwas abliefern.

 

Für diese Aufgabe habe ich mir Aisa Montmartre, Erikr Krex und Tio Rinea ausgesucht.

 

Aisa packte den fingerdicken Brief fester, als sie aus der Gasse heraustrat und sich dem Markt näherte. Insgeheim fragte sie sich, was genau auf den Dokumenten stand, die sie abliefern sollte, doch sie hatte sich nicht getraut, ihren Mund aufzumachen.

Je weiter sie kam, desto schneller tippelten ihre Schritte auf dem Kopfsteinpflaster. Ein Marktschreier streckt die Hand nach ihrem Arm aus, um sie an seinen Stand zu führen. Im letzten Moment weicht sie aus und presst den Umschlag fest gegen ihren Bauch. Das Papier klebt an ihren Fingern, weil sie so schwitzt.

Sie hasste es. Die Menge, die Rufe, das Gedränge. An der Seite der Hofdamen fühlte sie sich deutlich wohler. Hätten ihre Auftraggeber ihr nicht einfach ein bisschen mehr Zeit lassen können, damit sie das Ganze in der Nacht hätte erledigen können? Da wären weniger Leute hier gewesen, um sie zu beobachten.

Endlich kam die ersehnte Häuserreihe näher. Davor, der letzte Stand war es. Eine alte Frau mit einer Nase, die vermutlich grösser war als ihre Füsse, starrte ins Leere. War sie diejenige, die den Brief erhalten sollte? Aisa konnte es kaum glauben.

Sie reduzierte ihr Tempo und trat an den Stand der Frau. Sie bot alte, ausgebleichte Stoffe an, ein, zwei neuere Rollen waren auch dabei, doch irgendwie wirkte der Stand nicht, als diene er hauptsächlich dem Verkauf.

"Guten Tag." Aisa nahm ihren ganzen Mut zusammen, um der Frau in die Augen zu sehen. Sie erntete ein breites, zahnloses Lächeln. "Habt Ihr ... hm, auch andere Stoffe?"

"Hä?", krächzte die Frau und legte eine Hand hinter ihr Ohr, als würde sie sonst kein Wort verstehen.

Innerlich seufzte Aisa. Wieso betraute man auch eine Alte damit, den Brief anzunehmen? Kurz entschlossen änderte sie ihren Plan und blickte sich um. Niemand schien sie zu beobachten. Sie liess ihre Tasche fallen, tat überrascht und bückte sich, um es aufzuheben. Noch im Knien versicherte sie sich, dass niemand sie sah, und legte den Brief unter den Verkaufstresen der Verkäuferin.

Sie erhob sich und bemühte sich um ein zwangloses Lächeln. "Einen schönen Tag wünsche ich Euch." Sie reckte das Kinn und wandte sich ab. Am liebsten hätte sie die Kapuze ihres Umhangs tief ins Gesicht gezogen, doch das wäre vermutlich dann doch aufgefallen.

Sie hastete davon, den Blick der Alten noch immer auf ihrem Rücken.

Erikr schlenderte über den Marktplatz. An einem Stand kaufte er sich einen Karamellapfel, um sich die Zeit zu vertreiben. Am Vormittag schwirrten noch nicht zu viele Fliegen um Leckereien herum, sodass er sich hin und wieder etwas gönnte. Das und wenn er den Geldbeutel einer hübschen Dame etwas hatte erleichtern können.

Er lachte, als er ihr noch einen Blick zuwarf. Sie war so damit beschäftigt gewesen, ihre Nervosität zu verbergen, als sie sich dem Stand mit den Stoffen genähert hatte, dass sie ihn nicht einmal bemerkt hatte. Nicht annähernd. Vielleicht hätte er sich auch den Beutel unter ihrem Unterkleid schnappen sollen. Der Oberfläche nach zu urteilen, könnte sie auch darunter ... anziehend sein.

Ein breites Grinsen eroberte sein Gesicht, als er seine Schritte beschleunigte und ebenfalls zu der alten Dame ging. Die Stoffe ignorierte er. Interessierte ihn eh nicht.

"Einen wunderschönen guten Tag." Er deutete eine Verbeugung an, ohne die Frau aus den Augen zu lassen. "Auch wenn kein Tag dieser Welt so schön sein kann wie Ihr."

Die Frau lachte laut auf. Dabei schlingerte die lose Haut um ihren Hals herum wie schwere Tannenäste bei einem Gewittersturm. "Immer noch derselbe vorlaute Bengel wie früher."

Erikr grinste. "Wieso sollte ich mich denn ändern, wenn ich damit gut durchs Leben komme?"

"Bei einem frechen Mundwerk wie deinem, ist es auch kein Wunder, dass du die weichen Betten der reichen, hübschen Damen teilst." Sie warf ihm einen gespielt vorwurfsvollen Blick zu.

Er hob den Zeigefinger, um es richtigzustellen. "Nein, so wählerisch bin ich nicht. Sie muss nur hübsch oder reich sein."

"Ausser das Bett ist zu hart?" Die Verkäuferin zog die Mundwinkel nach unten. Erikr war noch nie ein Gentleman gewesen und hatte auch nicht vor, einer zu werden. Und das wusste sie, immerhin kannten sie sich in dieser kleinen Stadt.

Er warf einen Blick über seine Schulter zurück. Bis auf zwei andere Verkäufer war niemand in der Nähe, der ihn belauschen konnte. "Ich sollte hier etwas abgeben." Er zog einen Briefumschlag aus der Innentasche und reichte ihn der Frau. "Ich wünsche Euch damit viel Vergnügen." Er tippte sich an die nicht vorhandene Hutkrempe, nickte der Verkäuferin zu und verschwand zwischen den Leuten, die den Marktplatz bevölkerten.

Nebel. Überall.

Tio beobachtete, wie das stille Weiss sich zwischen den Ständen und Beinen über den Marktplatz bewegte. Erst fiel es niemandem auf. Ein dünner Schleier nur, der sich über die Wirklichkeit legte und das Nichts zwischen den Menschen füllte. Denn zwischen ihnen war nichts. Keine Bindung, keine Freude, keine Zuneigung. Nichts. Auch keine Luft, denn Luft musste geatmet werden, um zu dem zu werden, zu dem es bestimmt war.

Nein, die Menschen trennten sich selbst genug voneinander, sodass der Nebel zwischen sie gelangen konnte.

Tio verdichtete ihn. Er sollte nicht nur zwischen ihnen stehen, sondern sie auch trennen. Sie voneinander wegtragen, wenn sie beieinander sein sollten. Der Nebel mit all seiner Kraft, mit der Magie, die in ihm wohnte, sollte ihr Freund sein - und nur ihrer. Niemand sonst sollte sich daran erfreuen.

Nein, er sollte Schrecken verbreiten.

Er sollte in die Köpfe der Menschen dringen und ihnen die schlimmsten Albträume offenbaren.

Es waren Tios Albträume. Ihre Schmerzen, die sie durchlebten. Ihr Leid, das sie in die Köpfe anderer pflanzte, um die Qual zu teilen.

Sie brauchte das.

Sie senkte den Kopf. Für einen Moment bereute sie es, so zu sein. Es tat ihr leid, so vielen Menschen weh zu tun, weil sie nicht anders konnte. Doch es war dasselbe wie bei einem Jäger: Wenn er nicht hungern wollte, musste ein Tier sterben.

Sie tat es, um zu überleben. Nicht, weil es ihr Spass machte. Meistens jedenfalls.

Der Nebel hüllte die Menschen auf dem Marktplatz vollkommen ein. Sie sahen sich verwirrt um. Einige zuckten mit den Schultern, andere zogen die Kapuzen tief ins Gesicht und flüchteten nach Hause.

Tio lachte in sich hinein. Irgendwann würde der Nebel sie alle erreichen. Irgendwann würde sie nicht mehr alleine sein.

Doch nun war nicht die Zeit dazu. Sie verdichtete den Nebel um sich herum, als sie nach dem Briefumschlag tastete, und ging zu dem Stand mit den Stoffen und der alten Frau. Ihre Schritte waren weich und lautlos, ihr Gang glich mehr einem Schweben. Ohne dass die Frau sie bemerkte, legte sie den schweren Umschlag auf die ausgebleichten Stoffe und verschwand in dem Nebel.

Ich muss ganz ehrlich gestehen, irgendwie bin ich noch nicht so glücklich mit den Dreien. Irgendwie ... Also, eigentlich bin ich schon glücklich mit meiner Nebelhexe, doch ich habe da auch eine Jägerin, die passt. Und die beiden sind so gar nicht kompatibel.

Na gut, noch habe ich ein bisschen Zeit, um mir genau darüber Gedanken zu machen. ;-)

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